Heute am 10. April 2017 ist der internationale Tag des Zuhörens. Aus diesem Anlass hier ein paar Gedanken zum Zuhören:
Wann hören wir zu? In welchen Situationen und auf welche Art?
Oft wird das Zuhören vernachlässigt. Es gibt unendlich viele Seminare zur Rethorik, dazu wie ich meine Ideen ausdrücken und andere überzeugen kann, wie ich authentisch kommuniziere und andere begeistere. Die Welt ist voller Aussagen. Teile dich mit, drück dich aus, gib deine Meinung ab, nimm dir den Raum. Rhetorik zu beherrschen gilt ganz klar als Kompetenz, als starke Kompetenz. Gut zuhören können gilt daneben eher als niedlich, nett, vielleicht zu nett. Das schafft einen enormen Geräuschpegel auf der Welt, trägt aber nicht unbedingt zur Verständigung bei. Wo sollte das Gesagte ankommen, wenn nicht auf der anderen Seite zugehört wird? “ Wie kann ich meine Anliegen kommunizieren, ohne andere zu verletzen.“ Dies ist oft die Motivation in ein Seminar zur Gewaltfreien/Bedürfnisorientierten Kommunikation zu gehen. Und dann geht es überraschenderweise erstmal ums Zuhören, mir selbst zunächst: wie geht es mir, was brauche ich?
Zuhören – warum ich es so wichtig finde
Durchs Zuhören erfahre ich etwas von der Welt, von anderen Menschen und wenn ich mir selbst zuhöre, sogar von mir selbst. Nur durchs Zuhören tue ich dies. Wenn ich zuhöre, kann ich etwas Neues erfahren, kann ich etwas lernen. Wenn ich spreche, gebe ich meine eigenen Gedanken wieder. Wenn ich mir selbst beim Sprechen zuhöre, lerne ich meine eigenen Gedanken kennen, bekomme mehr Klarheit, finde neue Verbindungen. Wenn ich etwas erzähle, möchte ich wissen ob das, was ich erzählt habe, bei der anderen Person angekommen ist. Dann achte ich auf ihre Reaktionen, höre also ihrer Körpersprache zu oder frage nach und höre zu, was sie verstanden hat. Für mich als Rednerin ist es wichtig meinem Publikum immer wieder zuzuhören. Dadurch lerne ich die Wirkung meiner Rede kennen.
Indem ich jemand anderem zuhöre, kann ich eine innige einfühlsame Verbindung zu jemand anderem herstellen. Das einfühlsame Mitempfinden fühlt sich an wie Schwingen auf der selben Wellenlänge. Ich hör mit allen Sinnen zu, ich bin insgesamt involviert, inter-essiert, dabei, präsent im Moment. Wenn ich von Zuhören spreche, meine ich dieses präsent sein. Ich lasse beim Zuhören los von meiner Meinung, meinen Vor-Stellungen, meinen Urteilen und Bewertungen. Ich bin neugierig, gierig auf das Neue, das ich erfahren kann. Ich verlasse den Raum des Altbekannten, das mich nicht mehr überraschen kann. Meine Vorstellungen stehen nicht mehr zwischen mir und der anderen Person, wenn ich hinhöre, zu ihr hin, bringt mich das der anderen Person nahe und eröffnet mir die Möglichkeit etwas Neues zu verstehen. Hier entstehen Fragen. Ich möchte nachfragen und genauer verstehen. Ich nehme die andere Person wahr. Auch das ist die Gemeinsamkeit und Verbindung die entsteht. Eine andere Person wird wahr in meiner Welt, ich bin nicht alleine in meiner Welt. Indem ich zuhöre, kann ich eine andere Person einladen sich mitzuteilen. Ich kann Ihr Raum geben, mit ihren Gedanken, Gefühlen, Bedürfnissen in der Welt zu sein. Ich räume ihr einen Platz in der Welt ein. ich kann Ihr Wohlwollen, Wertschätzung entgegen bringen und ihr damit Mut machen sich zu äußern. Jemandem zuzuhören ist schon Ausdruck einer Wertschätzung. Gleichzeitig entsteht bei mir übers Zuhören Wertschätzung. Ganz automatisch, wenn ich höre, was die andere Person bewegt, wie es ihr geht, was sie braucht, wird sie mir wahr und nah. Ich fange an sie mehr zu verstehen und damit wächst eine Wertschätzung für ihr Mitmensch-sein. Ich kann mir übers Zuhören also Wertschätzung erfüllen und Nähe, Verbindung, Inspiration, Lernen, Neugierde, Achtsamkeit, Kontakt mit mir selbst und anderen. Ich kann durchs Zuhören eine andere Person dabei unterstützen, mit sich in Kontakt zu kommen. Ihre eigenen Bedürfnisse kennen zu lernen und zu verstehen. Und ich bin, wenn ich wach zuhöre, sowohl mit der anderen Person, als auch mit mir in Kontakt. Das war für mich zunächst eine überraschende Erfahrung, dass ich beim Zuhören mit mir selbst in Kontakt bin, mit meiner Neugierde, meiner Intuition, meiner Wahrnehmung, meiner Wertschätzung und auch mit meinen Gefühlen. (Allerdings kann es mir auch passieren, dass mich etwas betrifft und ich dann nicht mehr der anderen Person zuhören kann, sondern mir erstmal selbst zuhöre muss.)
Wenn ich zuhöre, resoniert das, was ich höre, in mir. Es bringt etwas zum Schwingen, etwas klingt an. So dass ich empathisch erfasse, was in der anderen Person los ist, was sie bewegt, was in ihr schwingt. In Gesprächen, in denen Leute sich gegenseitig zuhören, kann man dieses aufeinander Einschwingen beobachten. Es entsteht ein Miteinander, in dem Ideen entwickelt, Einsichten ausgetauscht, Meinungen unterschieden werden können, auf der Basis gegenseitigen Verständnisses. In diesem Miteinander tauchen Fragen auf und werden gestellt. In Gruppen, die hauptsächlich Ihre Aufmerksamkeit auf das Reden, Ausdrücken von Meinungen und Statements richten, fehlen die Fragen oft. Fürs Zuhören kann ich mich jederzeit entscheiden und kann damit oft Situationen gestalten. Ich kann ein Aneinander-Vorbeireden beenden, ich kann eine aufgeregte Situation beruhigen, ich kann Missverständnisse beginnen aufzulösen, ich kann Verbindungen schaffen. Wenn ich zuhöre, kann ich auf meine Fragen Antworten bekommen.
Ich kann mich entscheiden zuzuhören, offen zu sein für das, was ich zu hören bekomme. Mit dieser Offenheit kann ich anderen und auch mir selbst begegnen. Zuhören schafft Begegnung. Was ich nicht kann: andere zuhören machen. Zuhören lässt sich nicht aufzwingen. Welche wunderbare Widerständigkeit. Ich kann aber einladen dazu.
Anna
von der Agentur für Handlungsfähigkeit