Alfie Kohn: Punished by Rewards

Alfie Kohn identifiziert in seinem Buch „Punished by Rewards“ von 1993 das Grundproblem gegenwärtiger Arbeits- und Erziehungsmodelle: sie beruhen auf der Annahme des Behaviorismus, demzufolge der einfachste Weg, eine Person dazu zu bringen, das zu tun, was man selbst möchte, derjenige ist, ihm eine Belohnung anzubieten oder mit Strafe zu drohen. „Tu dies und du bekommst das.“ Wie Kohn beobachtet, unterscheiden sich Belohnungen und Bestrafungen dabei kaum, sie sind zwei Seiten derselben Medaille: „The question is not whether more flies can be caught with honey than vinegar, but why the flies are being caught in either case – and how this feels to the fly.” (S. 52) Sowohl Belohnungen als auch Bestrafungen beruhen auf Bewertungen und haben die Intention, eine andere Person zu einem bestimmten Verhalten zu bewegen, unabhängig davon, ob diese das möchte und auch ohne überhaupt die Frage zu stellen, warum sie es vielleicht nicht möchte. Kohn zufolge sollte auf Belohnungen und Bestrafungen ganz verzichtet werden, einerseits, weil sie schlichtweg nicht funktionieren, sondern sogar einen kontraproduktiven Effekt haben, da sie die intrinsische Motivation zerstören und das Ergebnis eine schlechtere Qualität hat. Andererseits, weil sie soziale Beziehungen negativ beeinflussen, asymmetrische Machtverhältnisse verstärken, weil sie Gründe und Inhalte ignorieren und Zusammenarbeit, Kreativität und Risikobereitschaft unterminieren.

Belohnungen sind vor allem langfristig kontraproduktiv. Belohnungen zerstören die intrinsische Motivation für die Sache oder das Verhalten. Eine Person die für eine Sache belohnt wird, die sie gerne macht, wird sie danach weniger gerne oder gar nicht mehr tun. Belohnt werden, führt zu einem Gefühl der Fremdbestimmung und Bewertung, die jeglicher Tätigkeit den Spaß nimmt. Kohn beschreibt neben zahlreichen anderen Beispielen eine Studie, in der Studierende, die für eine bestimmte Tätigkeit belohnt wurden (z.B. puzzeln), im Anschluss aufhörten zu puzzeln, während die Gruppe, die nicht belohnt wurde sich auch nach Abschluss der Übung weiter mit den Puzzeln beschäftigte (S. 70). Die Belohnung vermittelt die Botschaft, dass die Sache an sich uninteressant ist oder keine Freude bringt, denn sonst bräuchte es dafür ja keine Belohnung. Ebenso nimmt die Qualität der Tätigkeit ab, da die Aufmerksamkeit auf die Belohnung gelenkt wird, nicht auf die Sache. Da das Ziel nun nicht mehr die Tätigkeit selbst ist, sondern so schnell wie möglich die Belohnung zu bekommen, wird lediglich das Notwendigste dafür getan. Es werden keine Risiken eingegangen und keine Herausforderungen gesucht (denn dann bekommt man vielleicht nicht die Belohnung). Zusammenarbeit wird unterminiert und es wird nicht um Hilfe gefragt, wenn diese eigentlich gebraucht wird, da Belohnungssysteme in der Regel auf Konkurrenz basieren.

Belohnungen fördern folglich nicht die Tätigkeit, auf die sie sich beziehen, sondern unterminieren sie. Dieser Effekt ist naheliegend: Wenn man dem Esel eine Karotte vor die Nase hängt, wie soll er sich dann noch auf den Weg konzentrieren? Durch die Belohnung soll ein Anreiz geschaffen werden, sich in einer bestimmten Weise zu verhalten oder eine Sache zu machen, erzielt wird jedoch etwas anderes: „Do rewards motivate people? Absolutely. They motivate people to get rewards.” (67) Desto mehr Belohnungen benutzt werden, desto mehr werden sie gebraucht. Wenn es Belohnungen gibt, warum sollte man eine Sache einfach so machen?

Neben diesem kontraproduktiven Effekt in Bezug auf die erwünschte Tätigkeit, sind Belohnungen oder Bestrafungen jedoch auch aus anderen Gründen nicht ratsam, da sie die sozialen Beziehungen schädigen. Belohnungen setzen eine hierarchische Struktur voraus und verstärken die sozialen Asymmetrien. Begegnet einer jemand vor allem als Belohner oder Bestraferin ist ein authentischer oder unbefangener Kontakt kaum mehr möglich. Belohnungen werden als kontrollierend erlebt (was auch ihrer Funktion entspricht), so dass unsere Autonomie eingeschränkt ist. Da Autonomie und Freiwilligkeit zentrale Bedürfnisse sind, schrecken wir vor einer solchen Situation zurück. Bewertungen bringen ebenfalls enormen Druck in soziale Beziehungen. Kohn beschreibt ein Experiment, in dem ältere Schüler_innen jüngeren Schüler_innen ein Spiel beibringen sollten. Nur in der einen Gruppe wurde den Tutor_innen eine Belohnung versprochen, wenn ihnen die Aufgabe gelang. Während die belohnte Gruppe schnell frustriert mit ihren Mentees waren und einen schlechten Job als Tutor_innen machte, weil sie die Jüngeren nur funktional für die Belohnung betrachteten und behandelten, gab es in der anderen Gruppe keine Probleme dieser Art und die Aufgabe wurde leicht erledigt. (S. 44)

Das einzige, was Belohnungen leisten – und was sie leider für den Belohnenden attraktiv macht – ist eine kurzfristige Gefügigkeit. Wir belohnen also Menschen – insbesondere Kinder – nicht, weil wir ihnen was Gutes tun wollen, sondern damit wir es einfacher haben, sie zu kontrollieren – indem wir sie durch die Belohnung manipulieren, unsere Wünsche zu erfüllen. Der Preis dafür ist – wie beschrieben – jedoch enorm hoch: die Qualität dessen, was gemacht wird, ist schlechter, die Wahrscheinlichkeit, dass die Tätigkeit in Zukunft freiwillig gemacht wird ist gering, die Freude an der Tätigkeit ist gleich null, und irgendwann nützt nicht einmal mehr die Belohnung etwas. Belohnungen sind also am gefährlichsten im Hinblick auf Dinge oder Verhaltensweisen, von denen wir wollen, dass die andere Person sie machen will (z.B. Empathie bei Kindern fördern).

Auch Lob ist eine Form von Belohnung. Lob mag zwar tatsächlich positiv motiviert sein, um z.B. die Selbstsicherheit einer Person zu fördern, doch auch hier wird ein gegenteiliger Effekt erzielt. Denn im Kern von Lob stehen ebenfalls Bewertungen und niemand mag bewertet werden. Lob lenkt die Aufmerksamkeit von der Tätigkeit ab und auf die Evaluation der Lobenden hin. Eine gelobte Person denkt nicht länger darüber nach, was sie selbst gemacht oder erlebt hat, sondern denkt darüber nach, wie jemand anders dies bewerten könnte. Nicht die Sache steht im Mittelpunkt, sondern die Leistung. Dies löst Stress aus, da mit dieser Perspektivverschiebung sofort die Frage einhergeht, ob das Lob mit der nächsten Aktivität wieder erreicht werden kann. Je mehr gelobt wird, desto weniger können eigene Kriterien entwickelt und ein stabiles Selbstverhältnis aufgebaut werden, Selbstsicherheit wird zerstört statt gefördert. Dies ist fatal: Menschen – insbesondere Kinder -, wollen von sich aus lernen, sich neue Fähigkeiten aneignen und mehr über die Welt erfahren. Lob und Manipulation bremsen die natürliche Motivation und ersetzen sie mit blinder Konformität und einer mechanischen Arbeitshaltung. Oder die permanente Erfahrung der Fremdbestimmung führt zu einer offenen Auflehnung gegenüber der Autorität.

Kohn formuliert nicht nur eine fundamentale Kritik am Belohnen und Bestrafen, er hat auch Vorschläge, was statt Belohnungen und Bestrafungen passieren sollte. Drei Elemente stehen für ihn im Vordergrund: Kooperation, Inhalt und Wahlfreiheit/Freiwilligkeit. Während Belohnen und Bestrafen die Konkurrenz zwischen Menschen ermutigt, so dass es nur Gewinner und Verlierer gibt, ermöglicht Kooperation nicht nur ein schöneres Arbeitserlebnis, sondern bringt auch bessere Ergebnisse hervor. Der Inhalt ist wichtig, weil es dabei tatsächlich um die Sache geht, die passieren soll. Dieser Fokus ermöglicht einerseits, ein tatsächliches Feedback zu geben (eine Note ist kein Feedback, denn die Schüler_innen wissen anhand der Note nur, ob sie etwas im Vergleich gut oder schlecht gemacht haben, sie erhalten jedoch keine inhaltliche Resonanz) aber auch die Möglichkeit viel über das Gegenüber zu erfahren. Im Falle von Kindern könnte dies bedeuten, ihnen nicht „gut gemacht“ zu sagen, wenn sie einem ein Bild zeigen, sondern nachzufragen, was den Kindern selbst an dem Bild gefällt, warum sie sich für bestimmte Farben entschieden haben, etc. Fehler können darin ebenfalls als etwas gewertschätzt werden, das den Lernprozess voranbringt, nicht als etwas, das verhindert werden muss. Die Wahlfreiheit ist letztlich das A und O. Denn während Belohnungen die Gründe ignorieren, warum jemand etwas nicht machen möchte, bietet der Fokus auf die Freiwilligkeit die Möglichkeit, in den Kontakt zu gehen und zu ergründen, warum jemand etwas tun oder nicht tun will und unter welchen Bedingungen sich dies verändern würde. Der soziale Bezug ist dann keiner, der auf Manipulation beruht, sondern in dem eine Verbindung hergestellt wird und sich die Beteiligten auf Augenhöhe und mit Offenheit begegnen können. Auch wenn es dann passieren kann, dass wir nicht das erfüllt bekommen, was wir uns von der anderen Person wünschen, gefährden wir nicht die Beziehung, und die Freude im Kontakt und an den Tätigkeiten bleibt erhalten. Zudem kann es ohnehin gut sein, dass die Person die Sache gerne machen würde, sie möchte es nur nicht gesagt oder aufgetragen bekommen, sondern sich selbst dazu entscheiden.

Es ist faszinierend, dass Kohn in seiner eindrücklichen Analyse zahlreiche Elemente aufgreift, die auch die Grundlage für empathische und bedürfnisorientierte Kommunikation sind. Das Buch Punished By Rewards hat an Aktualität nichts verloren und ich kann es jedem empfehlen, der/die ein Unbehagen angesichts der vorherrschenden Erziehungsmethoden hat, aber noch nicht genau weiß, wieso. Ebenfalls allen, die an erfüllten zwischenmenschlichen Beziehungen interessiert sind, aber nicht ganz sicher sind, welche Alternativen es zu belohnen und bestrafen gibt. Und allen, die in irgendeiner Weise mit Kindern arbeiten oder zu tun haben, denn es ist zu tragisch, welche Schäden den kleinen Menschen durch belohnen und bestrafen zugefügt werden, die sie für den Rest ihres Lebens beeinflussen.

Obwohl die radikale Kritik an gängigen Belohnungs- und Bestrafungssystemen von Alfie Kohn schon 1993 erschien, sind seine Erkenntnisse leider nicht in den Mainstream des Alltagslebens eingezogen. Stattdessen siegt ein kurzfristig gewünschte Effekt (Gehorsam) trotz fataler Konsequenzen für alle Beteiligten wie so oft in dieser Gesellschaft über den langfristigen und menschenfreundlichen Zugang – der eben ein wenig mehr Geduld und Offenheit fordert.

 

2 Gedanken zu „Alfie Kohn: Punished by Rewards

  1. Christianemaria

    Das ist ein interessanter Artikel. Diese Gedanken versuche ich, speziell bewusst seit ich Kinder auf diese Welt gebracht habe, zu verwirklichen, was mir streckenweise gut gelungen ist. In der Reflexion, mit entstandenem Abstand zur Elternzeit, nachdem alle 4 ihr eigenes Leben immer selbständiger gestalten, muss ich gestehen, dass ich diese Haltung, oft unter Stress, nicht durchgehend erfolgreich anwenden konnte.. Ja, ich habs dann wohl vergessen und bin in alte Verhaltensmuster meiner Eltern und Lehrer zurück gefallen.
    Die letzte Tochter durfte 10 Jahre auf eine Montessorischule gehen, was für ein Segen für dieses Kind. Speziell in dieser Zeit kamen meine eigenen Defizite oft zum Vorschein, die ich, Gottseidank auch in guter Kommunikation mit Lehrern, bei mir lassen konnte und nicht aufs Kind projiziert habe. Vor der Einschulung dieses Kindes überzeugt, ich wäre eine „natürliche“ Montessori Mama, mit genügend „Erfahrung des „Sein -lassens“ bei 3 Kindern. Selbsttäuschung, wie sich herausstellte. Ich litt enorm an Ängsten, dass ich die Kontrolle über den Werdegang meines Kindes verliere. Es gab keine Hausaufgaben, keine Kontrolle über die Fortschritte meines Kindes zuhause.. ich durfte lernen zu ver-trauen und los-lassen. Ein segensreicher, auch oft schmerzlicher Prozess, der immer wieder neu betrachtet werden mag…
    Die eigene Schulzeit in Erinnerung und die erstaunlich starke Prägung von erzwungener Leistung und deren Bewertung durch Lehrer und Eltern und die „Belohnungssystematik“ist mir durch diesen Prozess deutlich geworden.

    Danke für diese Seite, vielleicht wird daraus einmal eine Begegnung in Berlin.
    Alles Gute für eure Arbeit.

    Grüße aus Bayern
    Christiane

    1. ruth (a-ha)

      Liebe Christiane,
      vielen Dank für deinen Beitrag und dass du deine mitunter auch schmerzlichen Erfahrungen mit uns teilst!
      Toll, dass du deine Kinder streckenweise vor dem vorherrschenden Urteilssystem schützen konntest! Dass du manchmal in alte Muster zurückgefallen bist, nimmt nichts weg von deinem Anliegen und aufrichtigen Wunsch, es anders zu machen. Ich finde es wichtig, gerade auf diese schmerzlichen Momente mit Verständnis und Wertschätzung zu blicken, denn sie verweisen auf unerfüllte Bedürfnisse, die versuchen, sich sichtbar zu machen.
      Toll, dass du den Mut aufgebracht hast, dein letztes Kind auf eine Montessori-Schule zu schicken! Die Ängste und Unsicherheiten, die das in dir ausgelöst hat, kann ich gut nachvollziehen. Mir geht es in der Elternrolle ständig so. Es erfordert viel Mut, sich gegen die gesellschaftliche Norm zu entscheiden, selbst wenn wir abstrakt wissen, dass die Norm uns und anderen schadet. Was, wenn wir uns täuschen…? Was, wenn der andere Weg doch der bessere ist? Solche Gedanken begleiten uns permanent, gerade, wenn es um die Verantwortung für ein Kind geht. Es ist schwer, sich im Angesicht von Ungewissheit behaglich zu fühlen. Ich lese gerade ein Buch von Brené Brown, in dem sie schreibt: „Vertrauen ist ein mysteriöser Ort, wo wir den Mut finden, an das zu glauben, was wir nicht sehen und die Kraft, unsere Angst vor der Ungewissheit loszulassen.“ Mir scheint, dass es sich lohnt, diesen Ort immer wieder aufzufinden, auch wenn er flüchtig ist und uns manchmal wieder entgleitet.
      In deinem Vertrauen, deinem Mut, in deinen Unsicherheiten und Ängsten, höre ich deine Liebe und Fürsorge für deine Kinder, deinen Wunsch, sie zu beschützen, ihnen alle Wege offen zu halten und ihnen alle Unterstützung zu geben, die sie brauchen.
      Danke dafür,
      ruth von a-ha

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